Notizen und Fakten aus den letzten 150 Jahren
Text: Dr. Antje Neuner-Warthorst ©
1817: Der Termin für das Kinderfest wird wegen herrschendem Nahrungsmangel auf die Zeit nach der Ernte verschoben.
1830: Pfarrer Rudolf Friedrich Heinrich Magenau schildert erstmals das Kinderfest. Er nennt es noch „Mayentag“ und „Schülerfest“, das auch für das Umland ein Festtag gewesen war.
1868: Im „Brenzthal-Bote[n]“ erscheint ein erster Pressebericht über das Kinderfest.
1871: Eine erste amtliche Anzeige mit dem Programmablauf wird im „Brenzthal-Bote[n]“ veröffentlicht.
1873: Bei den Wettkämpfen wird neben den bekannten Disziplinen auch „Ringen der Knaben“ und „Hafendemolierung Seitens der Mädchen“ aufgelistet.
1879: Auf dem Festplatz wird aufgrund des erhöhten Bedarfs ein zweites „sehr schön ausgestattetes Carrousell“ angeboten. „Durch mehrere Wirthschafts- u. andere Buden wurde den Ansprüchen und Bedürfnissen für Jung und Alt in reichem Maße gedient.“ Der Fest-Ausschuss soll über eine Schlussfeierlichkeit beraten. Es stellt sich die Frage, ob man künftig die zweitägige Feier, wie bereits am ersten Tag, mit einer geistlichen Ansprache beendet.
1880: Trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt wurde das Kinderfest programmgemäß abgehalten.
1881: Mehrere Geschäftsleute opponieren gegen den Brauch „Bergnudeln“ zu backen und zu verteilen.
1882: „Der Festzug war wirklich imposant, der sog. ‚Bergmarsch‘ kam durchweg frisch und lebendig zu Gehör, wie auch unsere Musiker auf dem Festplatze sehr fleißig und zu vollster Zufriedenheit von Alt und Jung sich producirt [sic] haben. Das am Dienstag nach Ankunft auf dem Festplatze von zahlreichem gesmischtem Chore vorgetragene Lindpaintner’sche Frühlingslied: ‚Regst du, o Lenz, die jungen Glieder‘ machte auf sämmtliche Zuhörer den besten Eindruck, wie auch die am zweiten Tage von studienräthlichen Schülern (sehr hübsch costümirt) vorgeführten Szenen aus ‚Wallensteins Lager‘ allgemeinen Beifall fanden.“
1883: „Heute wird unser weit und breit berühmtes Kinderfest abgehalten. Dasselbe scheint vom herrlichen Wetter begünstigt zu werden und wird es daher auch an zahlreichen fremden Gästen nicht fehlen, die uns unsere Nudeln vertilgen helfen. – Die Bäcker sagen, noch in keinem Jahre sei so viel gebacken worden, wie heuer. (Ein gutes Zeichen!)“
1887: Laut Programm des Kinderfestes gab es sowohl am ersten Abend um „7 Uhr: Zug vor die Stadtkirche. Gesang und Rede“, als auch am darauf folgenden zweiten Festtag um „7 Uhr: Schluß des Festes“ auf dem Kirchplatz. Der Kinderfest-Ausschuss bittet darum, in der Kirche die vermieteten Kirchenbänke für die Kinder freizuhalten.
1889: Das sich „seit mehreren Jahren der Mißbrauch eingeschlichen hat, daß am Kinderfest auch Erwachsene durch Tanzen in der Nähe des Tanzplatzes der Kinder sich beteiligen, was nicht im Sinne des Kinderfestes liegt“, schreitet das Stadtschultheißen-Amt ein und verbietet dies „auf eingekommene Beschwerden“ hin.
1891: „Unser Kinderfest konnte am Mittwoch und Donnerstag ganz dem […] veröffentlichten Programme gemäß gefeiert werden. Die Freude von jung und alt war groß und wurde das Fest besonders am ersten Tage durch die Teilnahme einer großen Zahl auswärtiger Gäste sowohl aus unseren Nachbarorten, wie auch aus weiterer Ferne verschönert. Jedes in der Ferne wohnende ‚Giengener Kind‘ eilt, wenn es nur einigermaßen möglich zu machen ist, an Pfingsten in die Heimat, um an unserem fast einzig in seiner Art dastehenden Bergfeste teilzunehmen. […] Einen lieblichen Charakter verleiht endlich unserm Feste das jugendliche Musikkorps (Schüler der hiesigen Musikschule), welches dem Festzuge mit klingendem Spiel, verstärkt durch den Musikverein voranschreitet.“
1897: Am Pfingst-Sonntag gab die „30 Mann starke, gut geschulte Heidenheimer Stadtmusik unter der gewandten Leitung ihres tüchtigen Direktors Herrn Steiner ein Konzert im Schlüsselkeller, das sich eines sehr zahlreichen Besuchs zu erfreuen hatte. Das Programm brachte eine hübsche Abwechslung von Liedern, Ouverturen, Märschen, Tänzen, Potpourris ec., die sämtlich präzis und rein zu Gehör gebracht wurden. Die Zuhörer spendeten nach jeder Nummer den lebhaftesten Beifall. – Am Pfingstmontag stattete der Liederkranz von Lauingen unserer Stadt sowie der hiesigen Liedertafel einen Besuch ab. Außer den aktiven und vielen passiven Mitgliedern des letzteren Vereins hatten sich zahlreiche Gäste im Einhorngarten eingefunden, um den vielen schönen Vorträgen der beiden Vereine zu lauschen. Es war wirklich ein hoher Kunstgenuß, wofür das Publikum seinen Dank durch reichen Applaus nach jedem einzelnen Vortrage bekundete. Das Wetter war an beiden Feiertagen sehr schön.“ Beim Preistanzen der Knaben und Mädchen wird extra darauf hingewiesen, dass „fremde und nichtschulpflichtige Kinder ausgeschlossen“ sind. In späteren offiziellen Verlautbarungen wird dazu erklärt: „Kinder, deren Eltern hier nicht wohnhaft sind, dürfen sich an den Spielen nicht beteiligen, davon ausgenommen sind die zwar auswärts wohnenden, jedoch die hiesigen Schulen besuchenden Kinder.“ Und: „Der umfriedigte Spielplatz ist im Interesse der Kinder wie des zuschauenden Publikums freizuhalten.“
1907: Nach dem Preistanzen gibt es „1/2 stündiges Schauturnen der Volksschüler“.
1915: Das Kinderfest fällt aus. Im Gemeinderatsprotokoll steht: „Für heuer bei dem Ernst der Zeit [wird beschlossen] das Kinderfest ausfallen zu lassen. An dessen Stelle soll treten ein am Pfingstdienstag auf dem Schießberg stattfindender Gottesdienst. Zu diesem Gottesdienst sollen die Kinder von ihren Lehrern geschlossen im Zug geführt werden. An den Gottesdiensten soll sich der Gesang patriotischer Lieder durch die Schulkinder anreihen. Nach dem Gesang sollen zur Erinnerung an die große und ernste Zeit, Bildnisse unserer Helden und Heerführer, an die Kinder verteilt werden, jedes Kind soll ein Bildnis nach seiner Wahl erhalten. Neben einem Bild soll noch ein Heft oder Bleistifte oder Federn an jedes der Kinder abgegeben werden. Der Wert der Bleistifte oder der Federn soll wenigstens annähernd dem Wert des Heftes entsprechen. Bei ungünstiger Witterung soll nur ein Gottesdienst in der Kirche stattfinden. Die Verteilung der Gaben hätte in diesem Falle in den Schulen zu erfolgen.“
1916: Es wird wie im Vorjahr verfahren.
1918: Angesichts des Elends nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, sowie einer verheerenden Grippepandemie gibt es nur einen „Kirchgang [und] Zug der Kinder auf den Schießberg und Rede daselbst.“
1919: Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs findet erstmals wieder ein Kinderfest statt, allerdings aufgrund der wirtschaftlichen Not in abgespeckter Form, d.h. nur noch 1 Tag, ohne Stadtschmuck und Verkaufsbuden sowie nicht mit allen Wettspielen.
1920: Das seit vielen Generationen zweitägige Kinderfest wird endgültig auf einen Tag reduziert. Im Gemeinderatsprotokoll steht dazu unter § 282: „In der letzten Sitzung sprach sich der Gemeinderat für Abhaltung des Kinderfestes an einem Tag – Pfingstdienstag, den 25. Mai 1920 – aus. Nach dem Ergebnis der Beratung durch die eingesetzte Kommission sollen sich die Spiele beschränken auf Preistanzen, Wettlaufen der Knaben und Mädchen, Seilziehen der Knaben, Strickhüpfen der Mädchen, Sackhüpfen der Knaben und Eierlaufen der Mädchen. Der Aufwand für auszuteilende Preise, für die Musik, das Herrichten des Festplatzes, der Festordner wird zusammen etwa 3000 M,- betragen, wovon dem Gemeinderat Kenntnis gegeben wird.“
1921: Per Gemeinderatsbeschluss wird festgelegt, dass beim Preistanzen „2 weitere Umgänge – also statt seitherigen 5 nunmehr 7 – stattfinden.“
1922: Der Festzug bot „wie jedes Jahr ein farbenprächtiges Bild, die Kinder strahlten vor Freude, in der Vormittagspredigt in der Stadtkirche wies Herr Stadtpfarrer Dr. Henne in schönen Worten auf die Bedeutung des Festes hin, die Spiele der Kinder wurden von einer fröhlichen Menschenmenge mit größtem Interesse verfolgt und nach Schluß derselben vergnügte man sich noch – jeder nach seiner Art – einige Stunden auf dem herrlichen Festplatz.“
1923: Der Gemeinderat beschliesst während der Inflation, die Einwohnerschaft um freiwillige Leistungen bei der Vorbereitung zu bitten.
1927: Das Kinderfest, dessen Verschiebung wegen strömenden Regens Vormitttags schon beschlossen war, konnte von 1 Uhr ab unter dem Jubel der Jugend und zur Freude der Alten doch noch bei Sonnenschein in herkömmlicher Weise stattfinden.
1932: Das Kinderfest wird wegen schlechten Wetters auf den darauffolgenden Mittwoch verschoben.
1935: Der Gemeinderat ersetzt die Schulfahnen durch Hakenkreuzflaggen und schafft etwa ein Dutzend kleinere Fahnen an.
1936: Der Gottesdienst ist nicht mehr Bestandteil des offiziellen Festprogramms.
1939: Dies ist das vorerst letzte Kinderfest, und es endet mit einer politischer Ansprache sowie der Führerehrung.
1940: Der Gemeinderat beschließt, während des Krieges kein Kinderfest mehr durchzuführen.
1945: Mit der Kapitulation am 8. Mai liegt das Ende des Zweiten Weltkrieges gerade einmal zwei Wochen vor dem damaligen Pfingstfest. Folglich war die Zeit in diesem Jahr zu knapp für die Vorbereitungen zum Kinderfest.
1946: Für die Durchführung des ersten Kinderfestes nach dem Krieg war eine Genehmigung der amerikanischen Militärregierung erforderlich. Für Kriegerwitwen gab es Vergünstigungen.
1948: Nach fast zehn Jahren Pause gibt es wieder ein offizielles Böllerschießen.
1950: In Hürben findet am 10. September das erste Höhlen- und Kinderfest statt.
1951: Die Gemeinde Hohenmemmingen veranstaltet am 8. Juli erstmals ein Kinderfest. Dies wird künftig alljährlich wiederholt.
1952: Im Kino „Burgtheater“ wird ein von der Stadtverwaltung in Auftrag gegebener Schwarz-Weiß-Film über das Giengener Kinderfest vorgeführt. Auch werden in diesem Jahr erstmals Abzeichen zum Preis von 20 Pfennig ausgegeben. Der Erlös kommt der Jugendarbeit zugute. Buben und Mädchen erhalten die Abzeichen gratis.
1954: Anläßlich des Kinderfestes wird allen Giengenern außerhalb Deutschlands ein Bericht über die Stadt in Form eines Briefes übersandt. Dieser Brauch wurde bis heute beibehalten.
1957: Das Kinderfest wird am Morgen wegen Regens unterbrochen, am Nachmittag folgt allerdings die Fortsetzung.
1960: Die wachsende Größe des Festzuges macht einen anderen Verlauf notwendig.
1964: Wegen der wachsenden Teilnehmerzahlen am Kinderfest läßt die Stadtverwaltung den Tanzkreis auf dem Schießberg erweitern.
1965: Der Gemeinderat beschließt aufgrund gestiegener Schülerzahlen einen ökumenischen Parallelgottesdienst in der katholischen Heilig-Geist-Kirche abzuhalten. Der Festzug von der Südstadt soll sich in der unteren Marktstraße mit dem der Innenstadt vereinigen. Erstmals wird der Festtag mit einer Stäffelespredigt des katholischen Stadtpfarrers Hauke beendet. Von nun an wechseln sich die evangelischen und katholischen Pfarrer in diesem ehrenvollen Amt ab.
1980: Der Festzug nimmt wegen Sanierungsarbeiten in der Marktstraße einen anderen Verlauf. Das Angebot für Kinder wird am Nachmittag erweitert.
1983: Erstmals seit über 50 Jahren muß das Kinderfest wegen schlechter Witterung ausfallen. Es wird am 2. Juni (Fronleichnam) nachgeholt.
1990: Ein Orkan entwurzelt einige der prächtigen Linden auf dem Schießberg.
1991: Giengen tritt der 1964 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft historischer Heimat- und Kinderfeste Süddeutschlands“ bei.
1996: Erstmals in der Geschichte des Kinderfestes veranstalten das „Jugendforum 2001“ und die Giengener Schulen in Zusammenarbeit mit dem Stadtjugendring ein Open-Air Konzert „Umsonst & draußen“. Diese Veranstaltung wird nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung des Giengener Nationalfeiertags verstanden.
2002: Mit Inkrafttreten des neuen Fahrplanes führt eine Stadtbuslinie erstmals auch über den Schießberg, wo eine Haltestelle eingerichtet wurde, die auch beim Kinderfest angefahren wird.
2003: Der Verwaltungshaushalt der Stadt weist ein Rekorddefizit auf. Von den geplanten Einsparungen ist unter anderem auch das Kinderfest betroffen.
2004: Ein heftiger Regenschauer am Nachmittag veranlasst die meisten Besucher, das Kinderfest zu verlassen.
2006: Türkische Familien aus Stadt und Kreis feiern in der Walter-Schmid-Halle ein großes Kinderfest.
2007: Wegen Dauerregens und starkem Wind entfällt das Kinderfest. Nach einem Gemeinderatsbeschluss entfällt auch ein Ersatztermin.
2009: Im Stadtmuseum in Hürben eröffnet die Sonderausstellung „Giengen im Ausnahmezustand. 350 Jahre Kinderfest“.
2014: Beim Kinderfest gibt es erstmals keinen Festzug mehr von der Südstadt aus und es findet nur noch ein Festgottesdienst in der Stadtkirche statt.
2016: Im Zuge von Recherchen für ein Buch wurde das aktuelle Brauchtum ausführlich dokumentiert. Insofern war besonders bitter, dass es erstmals kein Kettenkarussell mehr gab.
Dr. Antje Neuner-Warthorst ©